Echt spannend!

Spannung im Film – das ist nicht einfach das Zittern vor dem Unbekannten oder das Daumendrücken vor dem großen Knall. Nein, sie ist das leise, manchmal quälende, manchmal köstliche Vorwissen, dass etwas – etwas Bedeutendes, etwas Schmerzhaftes oder Wunderbares – passieren wird. Oder könnte. Oder eben auch nicht. Sie ist ein Gespenst mit einem Kalender in der Hand. Und dieser Kalender zeigt auf eine Seite, die man lieber nicht aufschlagen will. Oder unbedingt.

Man stelle sich vor: Zwei Autos rasen aufeinander zu. Noch ist alles ruhig – ein Sonntag vielleicht. Doch wer hinsieht, spürt es schon: da kommt was. Und zwar nicht irgendein Etwas. Die Spannung liegt nicht im Knall, sondern im Davor. In der Vorstellung. In der Ahnung. In dem bittersüßen Moment zwischen dem Wissen und dem Zweifel. Dieses feine Ziehen zwischen „Es muss so kommen“ und „Bitte nicht“.

Begriff der Spannung

Was wir Spannung nennen, ist also keine Nervenkitzelmaschine mit vorhersagbarem Ablauf. Vielmehr ein zartes und doch beharrliches Konstrukt aus Vorfreude, Sorge und – seien wir ehrlich – einer gewissen Lust am Drama. Ein guter Film ist wie ein Organismus, der seinen eigenen Pulsschlag kennt – und dem Zuschauer einredet, dieser Puls sei sein eigener.

Realismus, dieser selbstgerechte Sachbearbeiter des Erzählens, hat dem Wort „Spannung“ viel Ungemach beschert. Als wäre alles, was uns wirklich berührt, immer sofort und ohne Umwege ein Thriller. Aber das stimmt nicht. Spannung braucht keine Explosion. Manchmal reicht eine Gabel auf einem Teller, die ein wenig zu laut klirrt. Oder ein Blick, der zu lange hält. Oder eine Tür, die offen steht. Warum steht sie offen?

Die eigentliche Spannung entsteht im Spalt zwischen Erwartung und Zweifel. Man glaubt, etwas kommt. Und man fürchtet, dass es nicht kommt. Oder schlimmer: dass es doch kommt. Diese Gleichzeitigkeit von Gewissheit und Unsicherheit ist der Knoten, an dem sich unser Innerstes aufhängt. Wer je auf eine Diagnose gewartet hat oder auf ein Ja, das zum Nein werden könnte, weiß: Spannung ist kein Spiel. Es ist eine Form der Existenz.

Steigerung der Spannung

Aber was macht sie nun stark, diese Spannung? Woran misst man ihr Gewicht, ihre Zugkraft? An drei Dingen, würde ich sagen: Erstens – Bedeutung. Zweitens – Nähe. Drittens – Fallhöhe.

Bedeutung meint: Es muss um was gehen. Richtig um was. Idealerweise um alles. Leben und Tod, wenigstens im übertragenen Sinn. Wenn unser Held nur seine Uhr sucht, gähnen wir. Wenn er sie sucht, weil sie das letzte Geschenk seiner toten Mutter war – schon besser. Wenn er sie sucht, während das Haus anfängt zu brennen – da sind wir dabei.

Nähe heißt: Es muss uns betreffen. Direkt oder durch empathische Osmose. Wenn der Falsche angeklagt ist, wenn eine Geliebte flieht, wenn eine Wahrheit auf der Kippe steht – das sind keine fremden Schicksale mehr. Das sind unsere.

Und schließlich die Fallhöhe. Zwischen Triumph und Abgrund muss Raum sein für das ganze Theater der Möglichkeiten. Wer alles gewinnen kann, kann auch alles verlieren. Nur so kommt Schwung in die Sache.

Bangspannung und Getrostspannung

Aber nicht alle Spannung fühlt sich gleich an. Es gibt sie in Moll und in Dur. Die eine krallt sich bange in die Eingeweide, die andere schwingt sich getrost in die Hoffnung auf. Aristoteles nannte das mal „Jammer und Schaudern“ – klingt heute vielleicht altmodisch, trifft aber ins Schwarze. Bangspannung lässt uns das Schlimmste ahnen. Getrostspannung das Beste hoffen. Und kluge Geschichten spielen mit beidem, wie ein Pianist mit schwarzen und weißen Tasten.

Ein Noir-Film will wissen: Kann diese kaputte Welt noch einmal heil werden? Eine Romanze fragt sich: Wird sie kommen – und wenn ja, wird er noch da sein? Der Ton macht die Spannung: düster, beschwingt, zynisch, melancholisch. Alles erlaubt. Nur langweilig darf es nicht werden.

Wie entsteht Spannung?

Spannung beginnt nicht im Moment des Knalls, sondern weit davor. Sie beginnt mit einer Idee. Einem Verdacht. Einem Bild. Zwei Autos. Eine Straße. Ein Kind am Rand. Die Ahnung zündet die Zündschnur. Und dann heißt es: Warten.

Ein häufiger Irrtum ist die Idee, Spannung sei Überraschung. Ist sie nicht. Überraschung ist ein Trick. Spannung ist ein Versprechen. Wer Überraschung mit Spannung verwechselt, hat entweder nie Hitchcock gesehen oder zu viel von Shyamalan.

Gute Spannung wächst. Organisch. Sie schleicht sich an, sie ruht, sie lockt, sie dreht sich um. Und manchmal zwinkert sie einem zu, um dann in die andere Richtung zu gehen. Ihre Phasen sind klar: Etwas steht bevor. Dann kommen Zweifel. Dann Verwicklungen. Und schließlich die unausweichliche Entscheidung. Kein Fluchtweg mehr offen. Kein doppelter Boden. Nur noch: Jetzt.

Spannung vertiefen

Je tiefer die Emotion, desto größer die Spannung. Das ist keine Esoterik, sondern dramaturgische Grundschule. Wenn wir jemanden lieben, der in Gefahr ist – zittern wir. Wenn der Feind gewinnt, den wir hassen – brodelt es. Wenn wir nicht wissen, ob wir hassen oder lieben sollen – brennt es.

Ein Film, der Spannung will, muss investieren: in Figuren, in Konflikte, in moralische Dilemmata. Denn je mehr wir spüren, was auf dem Spiel steht, desto weniger wollen wir wegsehen. Wer gewinnt? Wer verliert? Und: Was verlieren wir, wenn der Falsche gewinnt?

Vorbereitung des Ungewöhnlichen

Spannung hat auch einen didaktischen Nebeneffekt: Sie macht das Abwegige plausibel. Wenn ich weiß, dass ein Mann Stimmen hört, ist es weniger abwegig, wenn plötzlich der Tisch spricht. Wer Spannung beherrscht, darf exzentrisch sein. Darf Geister bringen, übernatürliche Wendungen, irre Visionen – solange sie eingeläutet wurden wie eine Messe. Shakespeare konnte das. Wir dürfen’s versuchen.

Haupt- und Unterspannung

Und schließlich – die Hierarchie der Spannungen. Es gibt die große, tragende Spannung: Wird Hamlet endlich handeln? Wird die Welt gerettet? Wird der Mörder enttarnt? Und dann gibt es die kleinen: Kommt sie zur Verabredung? Wird das Auto anspringen? Bleibt das Licht aus?

Jede Szene trägt ihre eigene Miniatur-Spannung, eine Perle an der Kette. Und wie bei einer guten Kette – wenn eine fehlt oder falsch glänzt, merkt man’s. Das große Ganze lebt von den kleinen Teilen. Und der Zuschauer – dieses wundervolle, skeptische, leicht abzuschreckende Wesen – merkt sofort, ob du weißt, was du tust.

Also: Spannung. Sie ist nicht der Lärm. Sie ist das Lauschen davor. Und das Kribbeln danach. Wer sie beherrscht, braucht keine Explosion. Nur einen Satz, der falsch klingt. Oder zu richtig.